Sie/er/they/dey/hen/xier/wir: genderinklusive Sprache beim Übersetzen
Dieser TOLEDO-Beitrag ist wohl etwas ungewöhnlich. Als ich über das Thema des Beitrags nachdachte, musste ich mir zu meiner Verlegenheit eingestehen: Die spannendste Diskussion über das Übersetzen, die ich in den letzten Monaten gehört habe, hatte nichts mit meinen Gesprächen über das Übersetzen hier in UK zu tun. Es war ein Gespräch, dem ich im Ausland lauschen konnte.
Im Mai war ich für das Wochenende, an dem das Svět knihy Praha Buchfestival – dieses Jahr mit Schwerpunkt auf deutschsprachige Literatur – stattfand in Prag. Ich gebe zu: Die meiste Zeit war ich damit beschäftigt, mir ein Eis zu besorgen (erfolgreich!), aber ich ging auch zu einem Panel zum Übersetzen inklusiver Sprache. Ich hatte ein Gespräch erwartet, das sich mit einem im Umfeld von Übersetzer*innen häufig vertretenen Thema auseinandersetzen würde, nämlich wie man einen Text politisch sensibel übersetzt, wenn dieser selbst eine solche Sensibilität nicht aufweist. Stattdessen aber stieß ich auf eine Diskussion um ein Thema, das mir – als Übersetzer*in ins Englische – nur selten begegnet: Wie übersetzt man eine genderinklusive Sprache in Sprachen, in denen Genus und Geschlecht integrale Bestandteile der Grammatik sind?
Auf der Bühne waren Lucie Bregantová und Jana van Luxemburg, die tschechischen Übersetzerinnen der amerikanischen Sci-Fi Autorin Becky Chambers (bekannt für ihr inklusives, queeres World-Building) und Kim de l'Horizons Blutbuch, Gewinner des Deutschen Buchpreis 2022, dessen namenlose Hauptfigur nichtbinär ist. Es gab viele Herausforderungen bei der Übersetzung der beiden Texte. Die meisten Sprachen sind ja geschlechtsspezifischer als das Englische: Während gnädigerweise im Englischen weder Adjektive noch Substantive gegendert werden, werden in den slawischen Sprachen auch Verben in der Vergangenheitsform dem Geschlecht des Subjekts angepasst.
Ich stand ganz hinten im überfüllten Zelt und schickte Nachrichten über die Diskussion an eine befreundete Person, Nimmo. Es gab einige interessante Lösungen: Bregantová hatte sich schließlich dafür entschieden, ‚collective nouns‘ im Singular wie im Plural zu benutzen, um Gender zu vermeiden. Sie benutzt diese Strategie nun auch im Alltag. Mit Chambers Einwilligung hat sie auch das ganze Buch (dessen Hauptfiguren eine nichtbinäre Person, die die „they/them“ Pronomen benutzt und ein Roboter, der das Pronomen „it“ benutzt, sind) in die Gegenwartsform gesetzt, um das Problem der geschlechtsspezifischen Verben in der Vergangenheitsform zu vermeiden.
Nimmo, eine halbe Stunde später: Also ich versteh das mit den Zeitformen immer noch nicht
Ich: Na, da musst du zwei Sachen wissen. Erstens braucht man in den slawischen Sprachen nicht immer das Subjekt eines Verbs
Nimmo: Also meine Frage wäre. Es muss ja eine bessere Lösung geben, denn die nichtbinären Menschen dort müssen doch auch die Vergangenheitsform benutzen
Ich: Ah. Ja. Das ist im Grunde eine Lösung für Romane, nicht für das echte Leben.
Ich kam immer wieder auf diesen Punkt zurück. Wir als Übersetzer*innen suchen oft nach den Lösungen, die am wenigsten stören, die unsere Leser·innen nicht verwirren oder irritieren, die nicht auffallen. Aber Sprache ist doch fluid. Sie verändert sich und diese Veränderungen stören halt am Anfang. (Und das muss auch nicht unbedingt politisch sein: das Wort „jeggings“ lässt mich immer noch schaudern.) Doch gerade wenn es um Inklusivität geht, können und sollten wir dabei helfen, Sprache voranzubringen – auch wenn das bedeutet, dass sich unsere Übersetzungen (zumindest am Anfang) ein kleines bisschen weniger flüssig lesen.
Das bedeutet aber nicht, dass zuvorderst Übersetzer*innen diejenigen sein müssen, die Lösungen „für das echte Leben“ finden. Die queere Community hat schon eine innovative und kreative Sprache entwickelt, die allerdings noch nicht im Mainstream angekommen ist. Eine Woche nachdem ich aus Prag zurückgekehrt war, wurde mir das wieder einmal bewusst. Ich war bei deutschen Freundinnen zu Besuch und musste jedes Mal, wenn ich mein*e nicht-binäre*n Mitbewohner*in erwähnen wollte, ein kurzes Seminar über geschlechtsspezifische Sprache und Neopronomen halten.
Nicht, dass ich meine Freundinnen von der Notwendigkeit der genderinklusiven Sprache überzeugen musste – sie hatten einfach bis jetzt wenig Erfahrung damit und waren sich nicht sicher, wie man sie verwendet. Wir schlugen uns irgendwie durch – wir benutzten wenn möglich Namen statt Pronomen, probierten Neopronomen aus und formulierten Sätze um, um geschlechtsspezifische Nomen zu vermeiden. Dabei musste ich mich immer wieder fragen, ob diese Gespräche sich nicht etwas weniger störend, etwas mehr vertraut angefühlt hätten, wenn mehr Autor*innen und Übersetzer*innen sich mit der queeren Community austauschen würden und den Mut hätten, die von dieser Community etablierte innovative und inklusive Sprache zu normalisieren.
Zwei Monate später denke ich immer noch an diese Veranstaltung in Prag. Man glaubt oft, Übersetzer*innen arbeiten abgeschieden von der Welt. Das war zwar nie meine Arbeitsweise, aber ich frage mich trotzdem, was es bedeuten würde, wenn wir ganz bewusst in und mit Community arbeiten würden. Wie könnte diese Zusammenarbeit aussehen? Welche Bedeutung hätte sie für die Texte, die wir übersetzen und für die Leser*innen, die sie dann lesen?