TALKS RundUmschau Ist eine Übersetzerin im Saal?
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Ist eine Übersetzerin im Saal?

Das Centrum Sztuki Dziecka (Kinderkunstzentrum) in Poznań (Posen) beschäftigt sich als kulturelle Einrichtung mit der Förderung neuer, hochwertiger künstlerischer Phänomene für ein junges Publikum, unterstützt die Entwicklung neuer Methoden der kulturellen Bildung und organisiert künstlerische und pädagogische Veranstaltungen. Eine der immer wiederkehrenden Veranstaltungsreihen des CSD ist das Forum, das jeweils auf einen bestimmten Themenbereich ausgerichtet ist und sich an Menschen richtet, die sich mit Kunst für ein junges Publikum beschäftigen. Dieses Jahr im Oktober fand es unter dem Motto „Forum zur Vielsprachigkeit in den darstellenden Künsten für junges Publikum“ statt. Die Veranstalterinnen behandelten die Vielsprachigkeit sehr breit und schlossen auch die Themen Diversität, Übersetzung zwischen theatralischen Mitteln, die Art und Weise der Kommunikation mit dem Publikum, aber auch die traditionell verstandene Vielsprachigkeit und die Präsenz von Laut- und Gebärdensprachen auf der Bühne in die Diskussion mit ein. Das Programm umfasste Diskussionen zur Übersetzung von Sprache, ein Panel über polnische Gebärdensprache auf der Bühne, performative Vorträge zur Kombination von Bewegung und Gebärdensprache (Patrycja Jarosińska) und zum Programm „Zeig die Zunge“, das inklusive Kunst von verschiedenen Künstler·innen vorstellte (Centrum Sztuki Włączającej – Zentrum für inklusive Kunst), sowie eine Diskussion mit dem Titel „Performative Übersetzungen und die Performativität von Übersetzungen“, an der ich neben Aniela Kokosza, Paulina Giwer-Kowalewska und Wojtek Ziemilski teilnehmen durfte…

Forum zur Vielsprachigkeit in den darstellenden Künsten für junges Publikum, Oktober 2024
©Ula Jocz, Centrum Sztuki Dziecka w Poznaniu

Halt, hier müssen wir wohl innehalten, ich habe das Gefühl, dass sich einige Leute jetzt überlegen, was diese performative Übersetzung eigentlich sein soll. Worüber schreibt sie da eigentlich? Habt ihr vielleicht gerade Google gefragt? Aber in welcher Sprache? Ich habe es auch versucht: keine Ergebnisse auf Deutsch, ein Treffer auf Englisch und eine wissenschaftliche Arbeit von Viviana Kawas, in der „performative translation“ in Anführungszeichen steht und als Werkzeug zur Analyse der Bücher von Valeria Luiselli dient. Eine weitere wissenschaftliche Arbeit beschreibt auf Italienisch die Erfahrung der Arbeit an der Übersetzung eines Theatertextes als „traduzione performativa“.

Leider enden hier meine sprachlichen Möglichkeiten, deshalb kehre ich zu meiner Muttersprache zurück: Im Polnischen hat sich dieser Begriff in den letzten zwei Jahren zu einem etablierten und recht beliebten Begriff entwickelt. Er wurde allerdings als Witz geboren. Als ich anfing, mit dem Centrum Sztuki Dziecka zusammenzuarbeiten und wir die ersten deutschsprachigen Gastspiele für junges Publikum planten, stellte sich sofort die Frage nach der Form der Übersetzung bei Aufführungen mit Text. Es ist sogar gängige Meinung, dass Theaterstücke für ein Publikum in einem bestimmten Alter nicht vor fremdsprachigen Zuschauerinnen und Zuschauern aufgeführt werden können, da die in solchen Situationen üblicherweise verwendete Übertitelung für Kinder eines gewissen Alters nicht funktioniert. Als Antwort sagte ich, dass ich performative Übersetzung machen könnte. Alle nickten weise, schrieben etwas in ihre Notizbücher, und mir blieb nur, etwas Popcorn zu machen, mich zurückzulehnen und zu bewundern, wie dieser Nicht-Begriff, den ich zum Spaß eingeworfen hatte und der in meinem Kopf nur „auf die Bühne gehen und übersetzen“ bedeutete, plötzlich ein Eigenleben zu entwickeln begann, sich dank der außergewöhnlichen Werbefähigkeiten des Teams des CSD in Poznań schnell verselbstständigte, aus dem Fenster flog und nur ab und zu eine Grußkarte schickte, wenn mich jemand in Interviews fragte: Du bist eine performative Übersetzerin, kannst du mehr darüber erzählen? Bin ich das? Ich habe mich selbst nie so gesehen. Aber je mehr Postkarten am Kühlschrank hängen, desto mehr frage ich mich, ob ich das nicht doch schon immer war. Denn Übersetzen ist per se eine performative Tätigkeit. Der Akt der Übersetzung hat Wirkungskraft, durch die Übersetzung verändert sich die Realität. Stellen wir uns eine Welt vor, in der es keine Übersetzungen gibt, und Menschen, die nur in ihrer eigenen Sprache verfasste Texte kennen. Brrr, nein, wir gehen besser zurück auf die Bühne ...

Der Begriff entstand aus einem Witz, aber das Phänomen entstand aus der Not. Im Jahr 2011 war ich mit dem Stück „ID“ unter der Regie von Marcin Liber vom Teatr Współczesny in Szczecin (Stettin) für Gastspiele in Deutschland. Ich wurde gebeten, mich um die Übertitel zu kümmern, die größtenteils sicherstellten, dass die Botschaft kommuniziert werden konnte, aber wir mussten eine improvisierte Szene lösen. Wir entschieden uns für eine recht einfache, aber sinnvolle Methode: Als die Improvisation begann, unterbrach die Schauspielerin und fragte das Publikum: Entschuldigung, ist ein Dolmetscher im Raum? Als Reaktion darauf kam ich hinter dem technischen Pult hervor, betrat die Bühne und dolmetschte die Improvisation simultan. Doch zu einem prägenden Moment für die Zukunft meines Berufs als performative Übersetzerin wurde für mich eine ganz andere Szene. In einer der Szenen sang die Schauspielerin ein Fragment von Marlene Dietrichs Lied Falling in love again. Der Liedtext war nicht im Skript enthalten, weshalb es in den Übertiteln keine Übersetzung dafür gab. Trotz der beharrlichen Bitte des Regisseurs stellte ich diesen Text mehrere Tage lang nicht fertig, bei jeder Probe hing eine schwarze Folie über der Bühne. In mir wuchs nachts der Gedanke, meine Komfortzone zu verlassen und diese Übersetzung zu singen. Beim nächsten Durchlauf nahm ich mich zusammen und sang mit zitternder Stimme diese paar Zeilen. Alle erstarrten. Ich hatte sie überrascht, aber ich glaube, ich habe mich selbst noch mehr überrascht. Ich kann nicht singen, aber ich mache es gerne, und gleichzeitig schäme ich mich sehr, in der Öffentlichkeit zu singen. Die klar definierte Rolle der Übersetzerin gab mir jedoch einen sicheren Panzer. Einen Filter. Ein Kostüm. Dies ist eine der wenigen Situationen, in denen mir die Rolle der Übersetzerin etwas neben der reinen Übertragung ermöglicht.

Tragic Magic Today von Pinsker+Bernhardt beim Forum zur Vielsprachigkeit in den darstellenden Künsten für junges Publikum, Oktober 2024
©Ula Jocz, Centrum Sztuki Dziecka w Poznaniu

Seitdem habe ich bei verschiedenen Aufführungen mitgemischt und habe konsekutiv, simultan, hinter der Bühne, auf der Bühne, im Licht, ohne Licht, im Kostüm, in Alltagskleidung, aus dem Publikum heraus, hinter dem Publikum, mit Mikrofon, ohne Mikrofon übersetzt, gleichzeitig Übertitel einspielend oder das Bühnengeschehen kommentierend, und ich habe sogar gerappt. Die Anwesenheit einer solchen zusätzlichen Entität bringt etwas ganz Neues in die Aufführung, lässt neue Energie herein, verändert die gesamte Konstellation, wir haben einen zusätzlichen Körper auf der Bühne und er nimmt oft überraschende Bedeutungen an, die während der Proben oder in den Interpretationen des Publikums zum Vorschein kommen. Beim Übersetzen war ich bereits eine Metapher einer Frau, einer Everywoman, einer Mutter, von Deutschland, von Polen, der Geschichte, einer Führerin, einer Assistentin, einer Managerin, einer Chefin, einer Platzanweiserin... Das größte Kompliment, das ich nach so einem Auftritt erhalten kann: „Ich kann mir diese Aufführung nicht ohne deine Übersetzung vorstellen.“ Denn das bedeutet, dass diese beiden Ebenen verschmolzen sind, dass es sich um eine neue Aufführung handelt, dass eine Wende stattgefunden hat.

Während des Forums zeigten wir auch das deutsche Theaterstück Tragic Magic Today des Duos Pinsker+Bernhardt mit meiner performativen Übersetzung. Nach der Veranstaltung fragte mich Katarzyna Lemańska, die Moderatorin unserer Diskussionsrunde, am Rande: Mussten dich die Künstlerinnen lange dazu überreden, zu singen? Nein, sie überredeten mich überhaupt nicht, ganz im Gegenteil, es war meine Bedingung. Dieses Mal möchte ich ein Solo haben, ich möchte einen Moment haben, in dem ich auf die Bühne gehe und singe, nicht aus einer Ecke, nicht aus dem Off, ich möchte als Übersetzerin mitten auf der Bühne stehen, als Übersetzerin im Rampenlicht stehen und sichtbar sein, für all die Momente, in denen die Übersetzerinnen übersehen, nicht erwähnt, übergangen, unterbezahlt und ignoriert werden. Ich möchte diese emanzipatorische Geste machen. Und als ich in die Mitte der Bühne ging, den Mikrofonständer auf die Markierung stellte und das Publikum ansah, gab es Applaus, noch bevor ich einen Ton von mir gegeben hatte. Und ich hatte das Gefühl, dass es ein Applaus für alle war, die nicht genug gesehen werden. Und dann fing ich an zu singen und es wurde nur noch schöner.

22.11.2024
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©Jakub Wittchen

Iwona Nowacka ist Übersetzerin von Theatertexten, Kuratorin, Theatermacherin. Unter ihren Autor·innen sind u.a. Rainer Werner Fassbinder, Sibylle Berg, Falk Richter, Bonn Park, Milo Rau, Ferdinand von Schirach, Katja Brunner und Svenja Viola Bungarten. Sie war Stipendiatin der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit, des Visehrad-Fonds, des Künstlerhaus Lukas, des Literarischen Colloquium Berlin, von Kulturkontakt Austria, der Landis & Gyr Stiftung in Zug (Schweiz), u.a. Seit Mai 2024 ist sie Kolumnistin von Theater der Zeit. Sie ist Mitglied des performativen Duos Turkowski & Nowacka (u.a. JaWa, gezeigt im Showcase Generation After des Teatr Nowy in Warschau, Noorderzon Festival in Groningen 2023 und bei den Wiener Festwochen 2024). Sie wohnt in Szczecin (Stettin).

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