TALKS RundUmschau Von Festival zu Festival. Auf zur Weltenübersetzung
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Von Festival zu Festival. Auf zur Weltenübersetzung

„Wissen Sie, fremdschprachige Literatur hat es [in Frankreich] im Moment nicht leicht.“

„Wenn ich sehe, wie viele junge Menschen Literarisches Übersetzen studieren, mache ich mir Sorgen um ihre Zukunft.“                                                                             

Stimmen, die man hier und da in Verlagen aufschnappt. Stimmen, die, wenn man gerade in den Beruf einsteigt, nicht besonders ermutigend sind. Aber zum Glück gibt es noch die aufmunternden Stimmen der Kolleg·innen. Übersetzer·innen, denen zum Beispiel bei Festivals das Wort erteilt wird. Wie beim Festival VO-VF, im Raum Paris, zu dem ich im letzten Oktober zusammen mit neun Übersetzer·innen im Rahmen von Goldschmidt+, die Alumni-Version des Programms für Nachwuchsübersetzer·innen aus Deutschland, Frankreich und der Schweiz, gereist bin. Oder wie beim Festival D’un pays l’ăutre, das ein paar Tage später in Lille stattfand. Wortbeiträge, die über die Vielfalt der Übersetzungsansätze informieren, die Gedanken, Potentiale und Bedenken aufzeigen.

Wie auch in Deutschland – und anderswo – steht an erster Stelle die Sorge um die Auswirkungen von künstlicher Intelligenz, ein allgegenwärtiges Thema. Bei VO-VF setzt sich das Kollektiv En chair et en os [wörtlich: Aus Fleisch und Knochen], vertreten durch die Übersetzerinnen Margot Nguyen Béraud, Marie Van Effenterre und Pauline Tardieu-Collinet, für menschengemachte Übersetzung und künstlerisches Schaffen gegenüber Sprach- und Bildschöpfungalgorithmen ein und lehnt den Gebrauch von künstlicher Intelligenz gänzlich ab: „Künstliche Intelligenz gibt es nicht, es ist eine Halluzination“. Über die gefährliche Verformung von Gedanken und Sprache hinaus, zerstört diese Intelligenz unsere Berufe: Sie ist eine Bedrohung für das künstlerische Schaffen und die Freude am Schaffensprozess. Dabei ist zum Beispiel das Anfertigen einer ersten Textversion von grundlegender Bedeutung für die Übersetzung. Auch ist sie eine Gefahr für den Autor·innen-Status, für dessen mühsam errungene und oftmals immer noch angespannte – ja, prekäre – Arbeitsbedingungen. Eine Gefahr für das Urheberrecht. Eine Gefahr. Weniger Zeit, weniger Geld. Keinerlei Anerkennung. Aber worauf können sich Übersetzer·innen in diesem Wettstreit stützen? Sie können sich zusammenschließen – sich organisieren – debattieren – fordern – aufmerksam machen. Und Ablehnen. Post-Editing ablehnen. Text- und Data-Mining ablehnen, diese Ausbeutung von Werken um eine KI zu füttern, die uns Fortschritt vorgaukelt und letztendlich nur eine Reihe von Problemen, unter anderem auch ökologischer Art mit sich bringt. Vielleicht können Übersetzer·innen, um sich zu schützen, einen von der KI abweichenden Weg einschlagen, den der Ökologie.

Buchladen Liragif, Partner des Festivals VO-VF
©Jeffrey Trehudic

Margot Nguyen, Béraud Marie Van Effenterre und Pauline Tardieu-Collinet vom Kollektiv En chair et en os beim Festival VO-VF
©J.Berny

Informationsstand des Kollektivs En chair et en os beim Festival VO-VF
©J. Berny

    

Den Zusammenhang von Ökologie und Übersetzung hat Martin Schaffner – Übersetzer, Autor und Verleger bei Wildproject – beim Festival D’un pays l’ăutre aufgezeigt. Die Umweltforschung könnte den Gedanken der Übersetzung weiterführen, wie sie es auch mit anderen Diziplinen, anderen Problematiken, über binäre Beziehungen hinaus vermag. Denn die Ökologie beschäftigt sich mit Vermischung, mit der Vielfalt, die notwendig ist, um die Welt (neu) zu erschaffen. Und beim Übersetzen wird ein Text und die Welt, die er in sich trägt, zerlegt, neu erfunden, um einen anderen entstehen zu lassen. Übersetzung wäre so gesehen ein symbiotischer Akt: Bei der Übersetzung lässt man sich von einem Text, einer Stimme, einer Welt kontaminieren, die man in seinem Innern verstoffwechselt und die einen selbst verwandelt, wie Bakterien: Ein Mikro-Organismus verbindet sich mit dem nächsten und so entwickelt sich das Leben fort. Übersetzen ist verwandeln, mutieren. Und das, was daraus hervorgeht, sind verwandelte Übersetzer·innen. Bei der Übersetzung entwickelt sich eine Sprache und erwacht zu neuem Leben, die eigene Sprache wiedersetzt sich der Anpassung an die Sprachnorm. Ist es überhaupt möglich, rationell zu übersetzen, wenn es darum geht, sich in eine andere Denkweise und in eine der eigenen völlig fremden Welt einzufinden, wenn man aus sich herausgehen muss? Stéphanie Lux – Übersetzerin aus dem Deutschen und Englischen ins Französische – spricht in ihrem Essay Des Montagnes de questions [wörtlich: Berge von Fragen] (erschienen im September 2024 bei La Contre Allee, in der Reihe Contrebande, einer Kollektion persönlicher Essays von Übersetzerinnen) vom Begriff des Sprachüberläufers (transfuge de langue), wenn man über den Umweg einer fremden Sprache zu seiner eigenen Muttersprache findet, von einer französischen Sprache zu anderen französischen Sprachen – Sprachen, die man sich ständig aufs Neue aneignet.

Stéphanie Lux: Des montagnes de questions. La Contre Allée, 2024.

 

Beim Festival VO-VF, spricht Myriam Suchet – Professorin an der Sorbonne-Nouvelle – von Heterolinguismus: Je nach Generation, sozialer Abstammung, Ideologie, Zeitpunkt kommunizieren wir mit unterschiedlichen Sprachen oder Sprachvarianten, auf deren Unterschiede wir reagieren müssen. Und die Durchlässigkeit der Sprache ermöglicht ein Hindurchgehen, ein Überlaufen. Beim Übersetzen, Sich-selbst-übersetzen, bedient man sich all dieser Sprachen, Textauslegungen, all dieser Parallelwelten die man in sich trägt. Könnte das eine (öko-)translatorische Intelligenz sein? Es wird gebastelt, recycelt, Methoden und vorgefertigte Theorien außen vor gelassen. Wir lernen, uns der notwendigen Mittel zu bedienen. Wir tauschen unser Wissen, unsere Erfahrungen in Übersetzer·innencommunities untereinander aus. Wir tauchen tief in die Interaktion mit Texten, mit Sprachen ein. Und so eröffnet sich uns eine unendliche Fülle an Vorstellungswelten, Gemütsregungen, Orientierungspunkten und Weltansichten. Auf zu einer Weltenübersetzung.

22.11.2024
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©Jürgen Jakob Becker

Nach dem Studium der Übersetzung, Kulturvermittlung und internationalen Beziehungen in Paris und Deutschland zog Jeffrey Trehudic nach Berlin, wo er eine Zeit lang im deutsch-französischen Kulturbereich tätig war. Im Frühjahr 2022 nahm er am Georges-Arthur-Goldschmidt-Programm teil, bevor er beim Literarischen Colloquium Berlin arbeitete. Seit Juni 2022 koordiniert er außerdem die Herausgabe der französischen Zeitschrift für deutschsprachige Literaturen Litterall. Parallel übersetzt er weiterhin Prosa, Lyrik und Comics.

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