Literaturübersetzen in Zeiten von KI
In den letzten Jahren verstärkt sich die nicht ganz uneigennützige Auffassung, die sogenannte Künstliche Intelligenz (KI) werde beim Übersetzen den Menschen ersetzen. Aus nachvollziehbaren Gründen beunruhigt diese Wahrnehmung unseren Berufsstand, doch ein ludditischer Kampf gegen die Verwendung von Maschinen wird die KI weder aufhalten noch einhegen. Ein verantwortungsvollerer Ansatz wäre vielmehr, präzise zu analysieren, was die neuen Maschinenübersetzungssysteme leisten können und wo sie versagen und weiterhin versagen werden; auch, wo sie verzerren und welche Kosten sie verursachen. Diesen Ansatz verfolgte das Seminar „Übersetzen in Zeiten von KI“, das vom 18. bis 23. November 2024 an der Universität Salamanca stattfand, geplant und organisiert wurde es von Belén Santana (Universidad de Salamanca) und Vera Elisabeth Gerling (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf). Die Studierenden beider Universitäten nahmen in überwiegend gemischten Gruppen im Wechsel an Expertenvorträgen und an Übungen der Übersetzungspraxis (mit und ohne Einsatz von KI) teil. Friederike von Criegern und ich trugen unsere Erfahrungen als Übersetzer·innen außerordentlich komplexer Romane bei, nämlich Lectura fácil von Cristina Morales und Blutbuch von Kim de l’Horizon (letzteres enthält übrigens ein Kapitel, das zur Gänze mit DeepL übersetzt wurde, sowohl im Ausgangstext als auch in der Übersetzung).
Es ist bezeichnend, dass die Studierenden vor allem die Arbeit in Gruppen und mit den Übersetzungsprofis schätzten: Auf literarische Texte angewendet ist die Vorstellung einer automatischen Übersetzung absurd; im Dialog dagegen entstehen mehr Möglichkeiten, und Gewinne und Verluste halten sich die Waage. Gewiss können derartige Tools zum Suchen, Kontextualisieren und zur Unterscheidung von Registern sehr nützlich sein, doch sind sie vollkommen verantwortungslos, wenn sie Entscheidungen fällen. Unterm Strich sind die Maschinen dafür ausgelegt, den allgemeinen Sprachgebrauch zu durchsuchen; idiosynkratische Literatursprachen nachzubilden, wie sie die im Kurs behandelten Romane auszeichnet, übersteigt aber ihre Fähigkeiten – denn die menschliche Intelligenz, die nötig wäre, um ein generatives Instrument zu programmieren, das auf alle Variablen in ihren Kontexten eingeht, ist höher als die, die sie zu ersetzen sucht. Dieses grundsätzliche Problem zu benennen wird die Verwendung von KI nicht aufhalten, doch vielleicht hilft es zu erkennen, was wir im Begriff sind zu verlieren. Einige drängende Schlüsse sind bereits zu ziehen: Wir müssen dem anmaßenden Ansinnen einiger Verlage entschlossen entgegentreten, den Einsatz von technischen Hilfsmitteln zu verbieten (keine sorgfältige Übersetzung käme heute ohne den Einsatz von Google aus, um nur ein Beispiel zu nennen), wie auch umgekehrt der Degradierung der Übersetzer·in zu einem billigen Korrektor automatischer Textfassungen (Praxistests zeigen, dass der Aufwand für ihre Verbesserung ähnlich hoch ist wie der bei einer grundständigen Übersetzung, nur dass der Priming-Effekt beim Korrigieren KI-generierter Übersetzungen zu Verzerrungen und verflachender Angleichung führt). Wenn es sich selbst hochgebildeten Leuten, die noch nie vor der Herausforderung standen, einen formal hochkomplexen Text zu übersetzen, nicht erschließt, was Literaturübersetzen wirklich bedeutet, dann müssen wir Literaturübersetzende erklären, was diese Spezifika sind. Denn es braucht niemanden zu kümmern, ob die Maschinen mit mehr oder weniger Gefühl übersetzen, sehr wohl aber, ob sie es gut machen. In dieser schiefen Debatte sollte es weniger darum gehen, ein traditionelles Kunsthandwerk zu schützen, sondern vielmehr um die ganz eigene Qualität unserer Arbeit, für die Maschinen nicht gemacht sind. Und es ist nicht abzusehen, dass sie es einmal sein werden: Es ist unwahrscheinlich, dass auf kommerziellen Nutzen ausgerichtete Programme jemals in der Lage sein werden, literarische Texte mit der Sorgfalt zu übersetzen, die der Herausforderung all ihrer formalen Aspekte gerecht würde. Nicht allzu fern scheint allerdings eine Zukunft zu sein, in der diese Aspekte von den meisten gar nicht mehr erkannt werden.