Was setzt über, wenn Gedichte übersetzt werden ...
Eine Konferenz mit übersetzenden Dichter·innen & dichtenden Übersetzer·innen
5.–7. November 2021
Literaturhaus Halle
Ein Projekt von Netzwerk Lyrik e.V. in Kooperation mit TOLEDO und Literaturhaus Halle/Saale
Kuratiert von Aurélie Maurin und Ernest Wichner
Auf der in dieser Form einmaligen Konferenz werden literarische Übersetzer:innen von Lyrik mit Lyrik übersetzenden Dichter:innen in direkten Meinungs- und Erfahrungsaustausch kommen und die verschiedenen methodischen Ansätze des Übersetzens diskutieren. Die dreitägige Veranstaltung mit über 50 Teilnehmenden gilt dem Wissensaustausch zwischen verschiedenen Praktiker:innen und Theoretiker:innen der gegenwärtigen Lyrikübersetzung. Sie befördert damit gleichsam deren kritische Reflexion und dient der Weiterentwicklung von Praktiken der Lyrikübersetzung.
Die Veranstaltungen im Literaturhaus Halle/Saale sind öffentlich, der Eintritt ist frei, eine Anmeldung ist erforderlich. Nähere Informationen auf der Webseite www.literaturhaus-halle.de
Das Programm wird außerdem live auf dem YouTube-Kanal von Netzwerk Lyrik gestreamt und bleibt dort auch nach der Tagung abrufbar.
TOLEDO-Programmpunkte:
Samstag, 6. November, 14-16h
TOLEDO-Journale: Einblicke in den Maschinenraum der Literatur
- Porträt eines Nachdichters – Norbert Hummelt über sein TOLEDO-Journal "Die ganz Küche ist heute gut drauf“ zu Bela Chekurishivilis Gedichtband „Das Kettenkarussell“ (Verlag Das Wunderhorn 2021). Moderation: Jan Kuhlbrodt
Wie übersetzt man aus einer Sprache, die man kein bisschen versteht? Wieso greift man zu Reimen, obwohl das Original darauf verzichtet? Und wie schmecken Churchkhela? Norbert Hummelts TOLEDO-Journal nimmt uns mit auf eine persönliche und sinnlich-kulinarische Reise nach Georgien. Im Gespräch mit Jan Kuhlbrodt wird Norbert Hummelt viele Einblicke in die poetischen Traditionen Georgiens sowie Zutaten und Rezepte zum Nachdichten liefern.
- Journalpremiere „Joséphine Bacon, Nomadin der Tundra & Bewohnerin der Stadt“ mit Andreas Jandl und Jennifer Dummer
Das zweite Journal nimmt das Gastland der Frankfurter Buchmesse, Kanada, in den Blick: Jennifer Dummer und Andreas Jandl sprechen als Übersetzungs-Duo über den notwendigen Luxus, mit vier Ohren und vier Augen zu übersetzen – und wie dieses Verfahren den poetischen Sinn erhitzte, gerade bei so kurzen und dichten Texten wie den Gedichten der Grande Dame der indigenen Dichtung Québecs Joséphine Bacon („Uiesh. Irgendwo. Gedichte“, KLAK-Verlag 2021). Das Journal beleuchtet, was es konkret heißt, Schlüsselbegriffe aus dem Leben der Innu sensibel zu übertragen und eine Sprache durch Übersetzung am Leben zu erhalten.
Sonntag, 7. November, 10-12h
Gespräch über Dante: Inferno XIII, Inferno XXXIV, Purgatorio XXVIII
Eine Dante-Matinee mit Michael Donhauser, Christian Filips, Theresia Prammer und Anja Utler - mit einem Gesang von Ariel Nil Levy
Die TOLEDO-Journale laden zur Materialschau rund um den Übersetzungsprozess – Christian Filips, Michael Donhauser und Anja Utler sind dieser Einladung gefolgt und nehmen das Publikum mit zu einer Untersuchung ihrer Neuübertragungen, die im Rahmen des von Theresia Prammer kuratierten Projekts "Lectura Dantis in 33 Gesängen" entstanden sind. Die Journale verschaffen verschiedenste Einblicke in die verborgenen Assoziationsräume und Bilderwelten von Dantes Werk.
„Ich übersetze einen Gesang aus Dantes ‚Göttlicher Komödie‘. Ich kann kein Italienisch. Für sich genommen ist jeder dieser beiden Sätze ok. Zusammen sind sie absurd.“ So fängt Anja Utlers Journal an und wird zum Erlebnisbericht einer übersetzenden Dichterin, die den Spielarten der „poetischen Reaktion“, des „Übersetzens ins Eigene“ zögerlich gegenübersteht.
Ausgehend von dem Video „Zwischen der Zeit“ von Judith Albert wird in Michael Donhausers Journal die Form von Zeitlichkeit dargestellt, welche diesseitige Vergänglichkeit und jenseitige Ewigkeit in eins setzt und die des Irdischen Paradieses ist.
In die tiefste Hölle aus Dantes „Inferno" hat sich Christian Filips begeben. In seinem Journal „Flugmäusemode“ macht er die musikalischen Quellen des Originaltexts vernehmbar und stellt sich Fragen zum Standes- und Liebesverhältnis von Meister und Knecht sowie zu den SM- und Gewaltphantasien, die Sprechweisen und Sprachmaterial durchgeistern.
In einem Gegen-Gesang lässt der Performer Ariel Nil Levy den im Rachen des Höllenfürsten steckenden Judas zur Sprache kommen und auf Dante antworten: „Alles steht Kopf: Das Substantiv ist nicht Subjekt, sondern Ziel des Satzes“ (Ossip Mandelstam, „Gespräch über Dante“)
13–15h
Podiumsdiskussion Berührungsängste: Bewegen wir uns in Richtung eines „Sensitivity Translating“?
Zum Ausklang der Konferenz kommen ‚Berührungsängste‘ zu Wort: In diesem Gespräch spüren die Dichterin Kerstin Preiwuß, die Lektorin Katharina Raabe, die afrodeutsche Autorin und Literaturwissenschaftlerin Marion Kraft sowie der Dichter und Übersetzer Steffen Popp den Sensibilitäten nach, die ihre Arbeit mental, politisch oder ideologisch begleiten. Der Übersetzer Douglas Pompeu eröffnet dieses Gespräch mit einem neuen Beitrag für die TOLEDO TALKS-Reihe „Berührungsängste“. Moderation: Beate Tröger
Berührungsängste haben nicht nur in Zeiten der Coronapandemie Sonderkonjunktur – auch die Gespräche und Podien rund um das „Sensitivity Reading“ und „Sensitivity Writing“ haben seit der Debatte um Amanda Gorman die Übersetzungszone erreicht. Hinterfragt wird, was ein:e Übersetzer:in übersetzen darf und was nicht, ob das Übersetzen nicht über Fachwissen und Sprachexpertise hinaus auch ganz bestimmte persönliche Berührungspunkte voraussetzt. Ist nicht die Literatur und erst recht die Poesie der Ort, an dem in höchster Verantwortlichkeit für das Denken und Fühlen auch der Anderen agiert wird? Reicht sprachliche Sensibilität aus, um die Lücken zu füllen oder Ungerechtigkeiten zu beheben, die durch die weißen Flecken und Verdrängungen in Historiographie, Kulturgeschichte und Mentalitätsforschung erst entstanden sind? Gibt es Sensibilisierungsstrategien für Literaturvermittler:innen, die zu mehr Rücksichtnahme, Einfühlsamkeit und Gerechtigkeit führen, und wie lassen diese sich beschreiben?
Das gesamte Programm findet sich auf der Webseite des Netzwerk Lyrik e.V.